Zeiterfassung Pflicht – Ich fasse es nicht!

Zeiterfassung Pflicht – Ich fasse es nicht!

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden: Zeiterfassung Pflicht kommt! Dies ginge aus dem Arbeitszeitgesetz hervor, was von vielen auch als Arbeitsschutzgesetz bezeichnet wird. Viele regen sich nun dieser Tage darüber auf, dass dieses Urteil uns um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in unserer freier und offener gewordenen Arbeitswelt zurückwerfen würde.

Ade! New Work, Ade! Homeoffice, Ade! mobiles Arbeiten, Ade! Vertrauensarbeitszeit.

Zunächst einmal: das Urteil geht in Ordnung und ist nur eine logische Konsequenz aus der gesetzlichen Vorlage. Obendrein regen sich schon alle wieder viel zu früh auf, denn es gibt vor November voraussichtlich noch keine Urteilsbegründung. Außerdem gibt es auch noch keine Rückmeldung aus Regierungskreise wie nun seitens des Gesetzgebers mit diesem Urteil und dem vergleichbaren Urteil des EuGH aus Mai 2019 umgegangen werden soll.

Zeiterfassung Pflicht – Nicht das Urteil ist aus der Zeit gefallen, sondern das Arbeitszeitgesetz.

Schauen wir uns also erstmal die entscheidenden Passagen des Gesetzes an, bevor wir in den Kanon der Entrüstung mit einfallen. Was das Gesetz erreichen soll, steht unmissverständlich in §1:

Zweck des Gesetzes ist es,
1. die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland und in der ausschließlichen Wirtschaftszone bei der Arbeitszeitgestaltung zu gewährleisten und die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten zu verbessern sowie
2. den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung der Arbeitnehmer zu schützen.

Ist genau das und viel mehr nicht direkt Ziel der new work-Bewegung?

Im Gegenteil, sehe ich oftmals die schützenswerten Sonn- und Feiertage zur Arbeitsruhe und seelischen Erhebung der Arbeitnehmer auch unter new work-Gesichtspunkten gar nicht hinreichend im Fokus. “Warum gerade Sonn- und Feiertage?”, “Ich möchte arbeiten wann ich will!”, höre ich jetzt schon die ersten Freigeister rufen. Es lohnt ein weiterer Blick, z.B. in die §§3 und 5:

§ 3 Arbeitszeit der Arbeitnehmer
Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

§ 5 Ruhezeit
(1) Die Arbeitnehmer müssen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben.

Wie beschränkend!

So schlimm ist es dann auch wieder nicht, denn das Gesetz kennt allerhand Formulierungen zur Öffnung und variablen Gestaltung dieses Rahmens. Dies je nach Branche und tariflichen oder betrieblichen Vereinbarung. Darin liegt vermutlich eher das Problem. Das Gesetz ist von 1994 und zuletzt 2020 angepasst worden. Selbst die jüngsten Anpassungen nehmen noch erheblich zu wenig Rücksicht auf die aktuellen Öffnungen und Veränderungen am Arbeitsmarkt.

Gleichzeitig müssen wir auch hier zwischen Labour und Work unterscheiden.

Wie bereits im Blogartikel “Was ist Arbeit?” genauer beleuchtet, gilt es zwischen Erwerbsarbeit und Erfüllungsarbeit zu unterscheiden. Auch die früher klare Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit weicht zunehmend einem work-life-blending. Wir haben also aktuell ein Problem mit Abgrenzungen, Begriffsdefinitionen und der sehr unterschiedlichen persönlichen Entwicklung von Menschen. Die jeweilige Entwicklungsstufe hinsichtlich Selbstorganisation, Selbstachtung und Rollenverständnis hilft uns nämlich Selbstausbeutung und Ausbeutung zu mindern oder gar ganz zu verhindern.

Es gibt sie noch, die stark abhängig Beschäftigten mit harter körperlicher Arbeit.

Zu deren Schutz sind Gesetze wie das Arbeitszeitgesetz gemacht worden. Wie ich finde aus gutem Grund. Lasst uns diese Menschen weiter schützen, indem wir nicht gegen das Arbeitszeitgesetz und das jüngste Urteil mit größter Entrüstung Sturm laufen und wieder versuchen das Kind mit dem Bade auszuschütten. Dort wo Leistung, im Sinne des Beitrages zur gemeinsamen Wertschöpfung, und Zeit längst keine Korrelation mehr bilden, dort sind wir mit unserer Phantasie gefordert neue und gute Lösungen zu entwickeln. Diese Lösungen müssen dann in erster Linie auf das berechtigte Schutzinteresse des Gesetzes einzahlen und danach erst können sie Arbeitnehmern und Arbeitgebern mehr Freiraum gewähren.

Unser Rechtsbruch hat Methode.

Der Skandal sind weder Gesetz noch Urteil, sondern der fortlaufend gegen §16, Absatz 2 gelebte Rechtsbruch. Genau dies ist durch das aktuelle Urteil nämlich unterstrichen worden:
“Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und ein Verzeichnis der Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 7 Abs. 7 eingewilligt haben. Die Nachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren.”

Schlimmer noch. Die Urteile des EuGH und Bundesarbeitsgerichts stellen eben klar, dass die hier geforderten Aufzeichnungspflichten nicht ausreichen, um dem Anspruch zum Zweck des Gesetzes zu genügen. Bislang überlassen wir allzu gern diese Frage unseren Arbeitnehmern und deren Verantwortung.

Ich finde zu Recht, weshalb das Gesetz einer Änderung und Klarstellung bedarf.

Der Ansatz einer freieren, eigenverantwortlicheren Arbeitswelt läuft eine Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers zu wider. Dieses Problem wird auf Dauer mit new work nicht vereinbar sein.

Mein Vorschlag:

Das Gesetz lässt überall dort, wo Arbeit eben nicht mehr Labour, sondern Work ist, eine neue Option zu. Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden verpflichtet gegenseitig vertraglich zu vereinbaren wie Leistung (Arbeit) und Gegenleistung (Vergütung) während des Arbeitsverhältnisses in Zusammenhang stehen. Klarzustellen ist dabei, dass die grundlegenden Forderungen des Arbeitszeitgesetzes zum Schutz der Arbeitnehmer nicht verletzt werden dürfen. Gleichzeitig hat der Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer die ohnehin einzurichtenden Möglichkeiten nach dem Hinweisgeberschutzgesetz auch und explizit für genau diese Fragen der Arbeitszeiten und der sonst eben auch bestehenden Druckverhältnisse innerhalb eines Arbeitsverhältnisses zu bieten.

Ausufernde Arbeitszeit ist längst nicht das einzige wogegen Arbeitnehmer ein berechtigtes Schutzbedürfnis haben. Übergriffige Vorgesetzte, mobbende Kollegen, latente und ausdrückliche Ängste etc. sind allesamt ebenso große Bedrohungen für die von uns allen so sehr herbeigesehnte NEUE ARBEIT.

Jetzt du:

Wie siehst du das?
Welche Aspekte habe ich hier nicht beleuchtet und sollten ergänzt werden?
Welche Erfahrungen mit den oben genannten Gefahren hast du bei deiner Arbeit schon gemacht?

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