Machtwechsel voraus? Heißt das nicht Generationswechsel?
Ja, üblicherweise nennen wir den hier diskutierten Prozess Generationswechsel. Ich finde diesen Begriff aber falsch gewählt. Er lenkt ab. Die Generation wechselt doch letztlich unausweichlich durch biologische Rahmenbedingungen. Allein durch die Begriffswahl bleibt der Aspekt der Generation im Vordergrund. Verdeckt bleibt der tatsächliche Prozess.
Was tatsächlich wechselt ist die Macht – das muss dem Abgebenden und dem Aufnehmenden gleichermaßen bewusst sein.
Tauchen wir zum besseren Verständnis aber gerne in eine reale Alltagssituation ein:
Das Telefon klingelt, eine Frauenstimme ist am anderen Ende. Ich schätze die Stimme auf Mitte Zwanzig bis Mitte Dreißig. Später stellt sich heraus, die Dame ist dreißig Jahre alt und ich nenne sie hier einfach mal Marie.
Ein Anruf auf Empfehlung.
Ein Telefonat mit mir ist Marie durch einen gemeinsamen Bekannten empfohlen worden. Ich freue mich, dass Marie diese Empfehlung so direkt umsetzt. Marie erklärt mir ihre Situation, die ich hier nur stichpunktartig wiedergebe:
- Marie arbeitet im elterlichen Bauunternehmen
- Parallel zum Bauingenieurstudium hat sie viel, sehr viel – zu viel im elterlichen Unternehmen unterstützt
- So kam es zum Abbruch des Studiums
- Anschließend Bauzeichnerausbildung im elterlichen Unternehmen
- Aktuell nebenberufliche Bautechnikerausbildung
- Von Anfang an scheint klar, dass Marie das Unternehmen mit nicht ganz 100 Mitarbeitern einmal übernehmen soll
- Ob Marie das auch von Anfang an selbst klar war und ob es ihr freier Wille ist…
Ich habe Zweifel.
Genau dieser Vorwurf steht dann auch Marie bevor.
Wie angedeutet ist in dieser komplexen Situation “die Schuld” nicht einseitig verteilt. Marie hat es offensichtlich versäumt ihren Plan vom Leben zu klären, vielleicht sogar schriftlich aufzusetzen. Wie bei jedem Projekt verdient auch das Projekt des eigenen Lebens Planung. Damit ist es bei Marie nicht weit hin. Auch dieses Fehlen ist ganz sicher durch den Rahmen, die Erziehung ihrer Eltern geprägt, vorbestimmt. Nun mit 30 spürt Marie, dass sie sich freischwimmen, eigenständige Entscheidungen und Pläne formulieren muss. Dabei möchte ich gerne das vielleicht aufgekommene Bild der hilfs- und planlosen “nur” Tochter wieder stören. Marie wird nicht dreißig geworden sein ohne auch ihr Leben aufgebaut zu haben. Wie eigenständig dies allerdings in beruflichen Fragen erfolgt ist, gilt es noch herauszufinden.
Worin genau besteht Maries Plan?
Soweit ich sie verstanden habe, ist heute die Vorstellung von der Nachfolge vorherrschend in ihrem Kopf. Plastische Bilder von einer Zeit nach ihrem Vater vermute ich allerdings noch nicht. Marie steht die wohl wichtigste Emanzipationsphase ihres Lebens bevor. Sie wird zwischen ihrem Vater und ihrem Chef und potenziellem Vorgänger unterscheiden lernen müssen. Potenzieller Vorgänger? Ja genau! Erst wenn Marie in der Lage ist die reale Möglichkeit der gescheiterten Nachfolge als realistisches Szenario in den Blick zu nehmen, erst wenn sie sich vorstellen kann auch ganz wunderbar eine eigene Firma aufzubauen oder für eine andere Firma tätig zu sein, erst dann wird sie die Kraft haben den bevorstehenden Widerständen zu begegnen. Dafür braucht Marie aber einen Plan von ihrem Leben.
Nach dem Plan kommt die Verhandlung.
Wenn Marie sich heute, ganz oder in Teilen, erpressbar fühlt, liegt sie sicherlich richtig. Diesem Gefühl gilt es durch klare Lebensplanung mit realistischen und reizvollen Optionen entgegenzuwirken. Gar kein Antrieb darf darin bestehen irgendjemandes Lebenswerk um dessen Willen fortsetzen zu wollen. Marie muss zur Kenntnis nehmen, dass in ihre Ausbildung zur Unternehmerin weder durch sie selbst, noch durch ihren Vater auch nur irgendwie investiert worden wäre. Bei Papa auf dem Schoß sitzend diesem nur zuzusehen ist keine Ausbildung. In Maries speziellem Fall wäre das nicht einmal einem Praktikum gleichzusetzen. Also ist der erste Verhandlungspunkt Marie für ihre Ausbildung zur Unternehmerin Raum, Zeit und Geld bereitzustellen. Das wiederum erfordert klar formulierte Schritte und Ansprüche seitens Marie was es denn dazu braucht.
Auf die Walz.
Für mich besteht ein wesentlicher Teil der Ausbildung zum Unternehmer auch darin eine Zeit lang auf die Walz zu gehen. Das lässt sich, je nach eigener charakterlicher Disposition, ganz oder teilweise durch sehr gute und intensive Vernetzung mit Unternehmern sowie massivem Lernen aus Büchern und Lehrgängen kompensieren. Maries Vater ist heute sechzig. Nach meiner Sicht haben beide also gute fünf Jahre, um möglichst gezielt an Maries Ausbildung zu arbeiten. Dieses Zeitfenster ist eine phantastische Chance und verlangt von beiden gleichermaßen Mut und Vertrauen zueinander. Das bedeutet möglichst zu sofort mindestens drei Jahre unter anderer Flagge zu segeln und die letzten zwei Jahre einen gut geplanten Übergabeprozess zu etablieren.
Mit klarem Plan in den Machtwechsel.
Vor dem Wiedereintritt in die Atmosphäre des elterlichen Betriebes müssen dann aber auch aus der Distanz alle Aspekte der weiteren Machtwechsels geklärt sein.
- Wann erfolgt die Aufnahme als Geschäftsführerin?
- Zu welchen Zeitpunkten wechseln welche Geschäftsanteile?
- Und wann hat Papa seinen letzten Arbeitstag als Geschäftsführer?
- Wie gestaltet sich die Altersversorgung für den Senior?
- Ist die Altersversorgung eine Belastung für das Unternehmen und ist das realistisch leistbar?
Das ist nur eine kleine Auswahl der dringlichsten Fragen. Insbesondere die der Altersversorgung des Seniors stellt dabei regelmäßig den schwerwiegendsten Punkt dar. Was nützt der schönste Plan des Machtwechsels, wenn sich diesen der Senior, die Juniorin, das Unternehmen, oder im schlimmsten Fall alle drei nicht leisten können?
Hieraus einen plumpen Vorwurf zur unterlassenen Ruhestandsplanung des Seniors zu formulieren greift zu kurz.
Das greift übrigens ebenso zu kurz wie die ebenso plumpe Erwartungshaltung an die Juniorin, dass dies doch leistbar sein muss. Ein solcher Wechsel an der Führungsposition kostet ein Unternehmen sehr viel Kraft – und natürlich Geld. Da verlassen plötzlich unerwartet Leistungsträger das Unternehmen, Kunden werden abtrünnig und Umsätze brechen ein. Gleichzeitig will und muss die Juniorin aber auch für die Durchsetzung ihrer Vorstellungen und vielleicht auch gegen einen bestehenden Investitionsstau kräftig Geld in die Hand nehmen – können. Im Wechselprozess von einer simplen Fortschreibung bisheriger Ergebnisse auszugehen ist einfach nur naiv.
Auch und insbesondere die finanzielle Seite des Machtwechsels ist ohne falsche Scham gründlich zu planen.
Im Januar bin ich erneut mit Marie auf ein Telefonat verabredet. Sie wird bis dahin mein Buch gelesen haben und nimmt daraus vermutlich die eine oder andere Anregung schon direkt mit. Dann sprechen wir über ihren Planungsstand, was sie bereit ist zu opfern und was sie sich davon verspricht eines Tages das Unternehmen ihres Vaters fortzuführen.
Welche Fragen, Tipps und Hinweise soll ich deiner Meinung nach Marie noch mitgeben?
Bist du schon mal einen Machtwechsel durchlaufen? Welche Erfahrungen hast du daraus mitgenommen?
Ich freue mich über eure Unterstützung für Marie.
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