“Bitte waaas? Ihr habt den Urlaub abgeschafft? Was sagen denn bloß eure Leute dazu?” Das ist die typische Reaktion, wenn ich diesen Satz raushaue. “Die freuen sich gewaltig!” ist dann meine Erwiderung.
Urlaub einfach abschaffen? – Das geht doch gar nicht!
Schließlich haben wir ein Bundesurlaubsgesetz, das alle, wirklich alle zu mindestens 4 Wochen Urlaub im Jahr verpflichtet. Schlimmer noch. Als tarifgebundenes Unternehmen gilt für uns der Tarifvertrag des niedersächsischen Metallhandwerks. Da sind es dann auch gleich 6 Wochen Urlaub, genaugenommen 30 Tage. Das stimmt natürlich. Wir haben ja auch nur den Urlaub, nicht aber den Urlaubsanspruch abgeschafft.
Urlaub – Urlaubsanspruch… Ist das jetzt Wortklauberei?
Vielleicht. Aber schauen wir doch mal genauer hin, was wir denn nun konkret geändert haben.
Wir haben nämlich unsere Zeitkonten und unsere Urlaubskonten miteinander verschmolzen. Jetzt haben wir für beide Anspruchsarten nur noch ein Konto. Jede Stunde über der Soll-Arbeitszeit wandert da drauf und jede Stunde unter der Soll-Arbeitszeit kommt von dort. So bleibt das Gehalt jeden Monat zunächst einmal das Gleiche. Naja, plus Mehrarbeitszulagen, Auslöse und ein paar anderer Lohnbestandteile. Das zahlen wir natürlich jeweils direkt aus.
Das Abwesenheitskonto wurde geboren.
Dieses gemeinsame Konto für Urlaubsansprüche und Zeitguthaben nennen wir schlicht Abwesenheitskonto. Schließlich wird hier zusammengetragen, welcher Umfang an zukünftiger Abwesenheit zur Verfügung steht, ohne dass dies irgendeinen negativen Einfluss auf das Gehalt hat. Natürlich braucht auch ein Abwesenheitskonto Regeln. Wie etwas reinkommt, habe ich ja schon angerissen. Durch Arbeitsstunden oberhalb der Sollarbeitszeit und durch den Urlaubsanspruch. Dieser wird pünktlich zum 01.01. eines Jahres in voller Höhe für das Jahr gutgeschrieben. Es gibt also erstmal satt was aufs Konto. Die Entnahmen von diesem Konto sind in mehreren Stufen abhängig vom Kontostand. Wir starten bei Null und orientieren uns zunächst einmal nach oben. Bis zu einem Stand von 320 Stunden können die Stunden auf diesem Konto lediglich in Abwesenheit genommen werden. Du kannst das auch Freizeit, Urlaub, Zeitkontoabbau oder sonst wie nennen.
Zwischen 0 und 320 Stunden ist die Positivzone.
Hier kommt schon der erste Vorteil der Zusammenlegung zum Tragen. Plötzlich kann Urlaub auch stundenweise und nicht nur in ganzen oder halben Tagen genommen werden. Zwischen 320 und 550 Stunden kommen jetzt noch drei spannende Möglichkeiten dazu. Jetzt wird das Abwesenheitskonto nicht nur zum Zeitsparschwein, sondern auch noch zum Geldsparschwein. Du kannst dir nämlich oberhalb von 320 Stunden beliebige Beträge aus dem Abwesenheitskonto auszahlen lassen. Das ist irre praktisch, wenn dir mal das Auto oder die Waschmaschine verreckt. Du kannst aber auch Geld in deine Mitarbeiter-Kapitalbeteiligung stecken oder in deine Zukunft. Naja, das erkläre ich dir im nächsten Abschnitt genauer.
Zwischen 320 und 550 Stunden ist die Optionszone.
Bei 550 Stunden hat das Konto einen automatischen Überlauf. Aber wohin mit dieser Zeit oder diesem Geld? Das stecken wir in ein Lebensarbeitszeitkonto. Wenn du das nicht möchtest, kein Problem. Kurz Bescheid sagen und es kommt auf dein Bankkonto. Aber zurück zum Lebensarbeitszeitkonto. Das ist nämlich besonders spannend. Hier sparst du für deine Zukunft an. Das hatte ich ja schon in der Optionszone angedeutet. In der Zone kannst du nämlich auch schon eine Einzahlung auf dein Lebensarbeitszeitkonto vornehmen.
Bei 550 Stunden ist der automatische Überlauf.
Und dann? Wozu kann ich das Lebensarbeitszeitkonto gebrauchen? Erstmal ist wichtig, dass dieses Konto komplett außerhalb des Unternehmens mehrfach treuhänderisch abgesichert verwaltet wird. Also selbst die Insolvenz der Firma oder des Verwalters richtet an dem Lebensarbeitszeitkonto keinen Schaden an. Dein über Jahre angespartes Guthaben auf dem Lebensarbeitszeitkonto kann für sehr viele schöne Dinge benutzt werden. Du kannst damit zum Beispiel früher in den Ruhestand gehen, deine Verwandten pflegen, deinen Meistertitel oder eine andere Aufstiegsfortbildung machen. Du kannst sogar einfach mal eine mehrmonatige Auszeit nehmen – neudeutsch Sabatical. In dieser Zeit kannst du gerne mit dem Rad einmal um Australien radeln. Das wäre zwar nicht meine bevorzugte Idee, aber ist ja zum Glück anders drauf.
Bis -100 Stunden ist die Negativzone.
Ja, richtig gelesen. Wir lassen sogar einen Negativsaldo auf deinem Abwesenheitskonto zu. Das bedeutet konkret, dass du mehr Zeit nicht da warst, als du als Anspruch gehabt hättest. Und das bei vollem Gehalt. So kann man auch mal ganz elegant einen Vorschuss auf den Urlaubsanspruch des Folgejahres realisieren. Wo gibt es schon solche Möglichkeiten? Wir haben sogar mit unserem Betriebsrat festgelegt, dass die Zusammenlegung von Zeitkonto und Urlaubsanspruch auf dem Abwesenheitskonto zu keinerlei Nachteilen für unsere Mitarbeitenden führen darf. Also verhindert auch ein bereits bestehender Minussaldo nicht deinen geplanten Urlaub unter Palmen. Wenn du allerdings die Grenze von -100 Stunden erreicht hast, müssen wir uns ja gemeinsam etwas einfallen lassen, damit du schnell wieder auf einen normalen Stand kommst.
Was passiert ab -100 Stunden?
Dann reduziert sich, so wie in unserem Tarifvertrag als Option vorgesehen, deine regelmäßige Wochenarbeitszeit von z.B. 37 auf 30 Stunden. Das bedeutet natürlich vor allem in der Auszahlung ein geringeres Gehalt. Das muss allen Beteiligten klar sein. Wenn du dann aber ganz normal 37 Stunden in der Woche arbeitest, oder vielleicht sogar mehr, dann bist du ratzfatz wieder bei einem ausgeglichenen Kontostand angekommen und deine Wochenarbeitszeit ist wieder wie vorher – samt Auszahlungsbetrag natürlich. Jetzt stell dir mal vor du bist zum Jahresende hin in genau diese Situation geraten oder bist davon bedroht, dass es so weniger Gehalt gibt. Schon kommt der nächste 1. Januar und durch den eingespülten Urlaubsanspruch geht es deinem Konto wieder gut. So ist die Phase mit einer Gehaltseinbuße verkürzt oder sogar ganz verhindert worden. Das ist sehr wahrscheinlich, denn durch den typischen Saisonverlauf unserer Aufträge gehen gerade im ersten Quartal eines Jahres die Konten schnell mal nach unten. In der neuen Situation dürfte es nun kaum noch zu einer Reduzierung der Wochenarbeitszeit kommen.
Wie findest du unseren Weg des abgeschafften Urlaubs?
Wie macht ihr das in eurer Firma?
Welche weiteren Vorteile oder Risiken siehst du in unserem Weg?
Lass uns sehr gerne darüber auf LinkedIn, Facebook oder Instagram diskutieren.
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